BB – Woche 43 – Seite 20, Mittwoch, 24. Oktober 2001

Vortrag Über "Bauernkrieg und Reformation"

Historisches Gedenken auf der Suche nach dem heutigem Selbstverständnis

Unterschiedliche Vorstellungen von "Gerechtigkeit" und "Freyheit" schürten vor 500 Jahren soziale und politische Konflikte

(tam). Das Fragezeichen hatte seine ausdrückliche Bedeutung: "Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes?", so lautete das Thema eines Vortrags über den Bauernkrieg und die reformatorische Bewegung im Kraichgau Anfang des 16. Jahrhunderts.

Doch was meint dies eigentlich konkret, die "Gerechtigkeit Gottes", oder auch die "Freyheit", jener zweite zentrale Begriff im Zeitalter der Bundschuh- und Bauernaufstände zwischen 1500 und 1525? Verbanden nicht womöglich unterschiedliche gesellschaftliche Schichten und religiöse Glaubensrichtungen völlig unvereinbare Vorstellungen und Erwartungen mit diesen Worten? Auf Einladung der evangelischen Christusgemeinden Ober- und Untergrombach sprach der Kirchenhistoriker Dr. Markus Wriedt vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz) in der Gustav-Adolf-Kirche über dieses sozial- und gesellschaftsgeschichtliche Thema, das immer wieder auch Bezüge zur Gegenwart erkennen ließ.

Rund 60 Zuhörer verfolgten die eindringlich vorgetragenen Ausführungen, und wenn es eines Belegs bedürfte für die Wirksamkeit des Gesagten, dann ist die angeregte Diskussion im Anschluss an den Vortrag sicher ein solcher gewesen. Denn die entscheidende Frage, in welcher Tradition wir heute den Bauernkrieg sehen und wie umgekehrt das Selbstverständnis der Menschen vor 500 Jahren war, verweist auf ein Grundproblem allen historischen Gedenkens, das gerade im Laufe des Bruchsaler Joß-Fritz-Jahres 2002 immer wieder eine Rolle spielen wird. "Wenn wir die Ereignisse des 16. Jahrhunderts glorifizieren, geschieht den Bauern ein zweites Mal Unrecht", so Wriedt, der anschließend die Begriffe "Gerechtigkeit" und "Freiheit" aus der Sicht des Reformators Martin Luther definierte. Und da zeigte sich in der Tat, dass die einen nämlich die Geistlichen unter Gerechtigkeit und Freiheit etwas gänzlich anderes verstanden haben als die rebellischen Bauern, nämlich zuerst etwas religiös Inspiriertes und auf das Jenseits Gerichtetes. Die Aufständischen aber bezogen die Begriffe sehr wohl auf das Diesseits, meinten eine irdische Gerechtigkeit und eine politisch-soziale Freiheit. Nicht zuletzt an diesem Missverständnis seien die Bauernkriege gescheitert. In welchem Maße und mit welchen Argumenten aber beide Seiten während den monatelangen blutigen Kämpfen das Recht und die Gerechtigkeit jeweils für sich reklamierten, das lässt durchaus auch Fragen zu nach den heutigen Vorstellungen über das Austragen sozialer und politischer Konflikte in Europa und weltweit.